Von Zeit zu Zeit ins Ungewisse

Bereits mit den ersten Bildern baut Transit eine sehr intensive und angespannte Atmosphäre auf. In überlegten und mit viel Bedacht gefilmten Aufnahmen sehen wir die Straßen von Paris, wohl im 21. Jahrhundert. Und doch ist etwas anders. Alle Menschen wirken nervös, Militär rennt durch die Gassen. Mittendrin ein Café, in dem Georg (Franz Rogowski), ein deutscher Flüchtling, von einem Landsmann den Auftrag erhält, zwei Briefe an den Schriftsteller Weidel in einem Hotel in der Nähe zu überbringen. Georg würde sich in Gefahr bringen, doch weil ihm als Lohn ein Platz in einem Fluchtwagen nach Marseille versprochen wird, nimmt er den Auftrag an. Georg geht auf die Straßen, in das Hotel und findet dort im Zimmer des Schriftstellers nur noch eine blutige Badewanne vor. Weidel ist tot und Georg nimmt nicht nur dessen letztes Manuskript zu sich, sondern mit Ausweis und Papieren auch eine neue Identität an.

 

Christian Petzolds neuer Film Transit basiert auf Anna Seghers‘ gleichnamigem Exilroman von 1942. Mit der Literatur verbindet ihn aber nicht nur die Buchvorlage, vielmehr gelingt Petzold mit der Synthese von mehreren ungewöhnlichen Stilmitteln ein Werk, das zugleich literarische und filmische Qualitäten besitzt und die Künste reflektiert und verbindet, dabei aber nie artifiziell wirkt. Zunächst irritierend wirkt die Verlegung der Geschichte von der Zeit des zweiten Weltkrieges in die Gegenwart. Damit löst sich Transit einerseits von den formalen Bedingungen eines Historienfilmes, macht sich andererseits aber für die Lesart angreifbar, lediglich als Metapher für zeitgenösissche Politik zu dienen. Ganz im Gegenteil muss Transit aber losgelöst vom Zeitgeschehen als intelligentes und anspruchsvolles Kino verstanden werden, das in seiner ruhigen Erzählweise durchaus große Themen anspricht und die Gefühlswelten und Kommunikationsweisen von Menschen in isolierter Situation untersucht.

 

Ein wichtiges Stilmittel bildet auch der Erzähler, der immer wieder Georgs Reise beschreibt. Dabei gibt er jedoch keine Hintergründe zu Figur oder Situation, sondern bleibt stets bei der laufenden Szene und intensiviert sie mit genauen Beobachtungen, die manchmal schon im Bild geschehen sind, manchmal folgen und sich ein anderes Mal abseits unseres Blickes abspielen. Dieser Erzähler ist also ein literarischer, dabei aber nie unfilmisch, und lässt auch auf auditiver Ebene eine Geschichte entstehen. Auch die visuelle Inszenierung lässt einen fließenden Übergang zu. Jedes Bild bekommt seine Zeit um die Kraft, die in einem Buch bei detaillierter Beschreibung entsteht, zu entfalten und ist dabei stets sorgfältig gestaltet und außerordentlich schön zur Geltung gebracht.

 

Auf seinem Weg in eine ungewisse Zukunft trifft Georg in Marseille auf viele einsame Seelen und immer wieder auf eine unbekannte Frau. Paula Beer spielt diese Figur, von der man eine Zeit lang nicht weiß, ob sie real ist oder doch nur die Traumvorstellung eines in einer absurd anmutenden Situation überforderten Menschen. Beers zurückhaltendes Schauspiel und die zwischen schemenhafter Symbolik und narrativer Funktion schwankende Figur verblassen etwas und berauben den Film in seiner zweiten Hälfte noch weiterer Tiefe. Weil Franz Rogowski seine vielschichtige Rolle des zwischen zwei Identitäten gefangenen Flüchtlings aber mit einer gelungenen Mischung aus schwermütiger Aura und charismatischem Aktivismus füllt und Christian Petzold sich ganz auf die Qualitäten des Filmes verlässt und nie in Dramatisierungen verfällt, ist Transit ein auffallend kunstvolles und ästhetisches Werk des deutschen Filmes.

 

Transit von Christian Petzold

Deutscher Kinostart: 5. April 2018

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