Indirekter Sex

Über den Dächern von Nizza (To Catch a Thief) strahlt in jeder Sekunde die filmische Genialität Alfred Hitchcocks aus und besitzt dabei doch eine auffallende Einzigartigkeit. Hitchcock drehte den Film 1954, ein Jahr nach Das Fenster zum Hof (Rear Window). Als er gerade an der Nachsynchronisation des Filmes arbeitete, traf er zum ersten Mal auf Francois Truffaut, der ihn für ein Buch interviewen wollte. In diesem Buch, Mr Hitchcock, wie haben sie das gemacht? (Le Cinéma selon Hitchcock), gibt Hitchcock einige Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Filmes und insbesondere der Qualitäten Grace Kellys, in die sich Cary Grant, der die Hauptfigur des Einbrechers John Robie spielt, verliebt:

 

FT: Sie haben verschiedentlich erklärt, daß Grace Kelly Sie deshalb interessiere, weil bei ihr der Sex ‚indirekt‘ sei.

 

AH: Auch wenn ich mich auf der Leinwand mit Sex befasse, vergesse ich nie, daß der Suspense die Hauptsache ist. Wenn der Sex zu aufgetragen, zu dick ist, gibt es keinen Suspense mehr. […] Der Sex darf nicht gleich ins Auge stechen.

 

Brigitte Bardot, Marilyn Monroe und weitere kommen an dieser Stelle schlecht weg, Truffaut meint zudem, dass diese fast nur schlechte Filme gedreht hätten und nur dank des männlichen Publikums Stars wären.

 

AH: Es gibt in ihnen (Bardot, Monroe,…) nicht die Entdeckung des Sex. Schauen Sie sich den Anfang von To Catch a Thief an. Ich habe Grace Kelly unbewegt und kühl fotografiert, […] sehr schön und unnahbar. Aber wenn sie durch die Hotelkorridore geht und Cary Grant sie bis zur Tür ihres Zimmers begleiten, was macht sie da? Sie küßt ihn.

 

Es ist nicht die einzige überraschende, spannende und wunderschöne Szene des Filmes. Dieser etwas unterbewertete Hitchcock-Film, den er auch selbst lediglich als „leichte Geschichte“ abtut, verdient jede Aufmerksamkeit und muss sich vor keinem Meisterwerk der Filmgeschichte verstecken. Die Atmosphäre an der Côte d’Azur hat ihre Leichtigkeit und Schönheit wohl auf den Film übertragen.

 

Trotz des noch geltenden Hays Code schaffte Hitchock es, einige sexuelle Anspielungen in den Dialogen zwischen Grace Kelly und Cary Grant einzubauen:

 

GK: Look, John. Hold them. Diamonds. Only thing in the world you can’t resist. Then tell me you don’t know what I’m talking about. Ever had a better offer in your whole life? One with everything? (Greifen Sie zu. Worauf warten Sie? Sie sind kostbar. Juwelen sind doch das Einzige, dem Sie nicht widerstehen können. Und dann sagen Sie mir, dass Sie nicht wissen, wovon ich spreche. Haben Sie schon jemals ein besseres Angebot gehabt? Alles auf einmal?)

 

CG: I’ve never had a crazier one. (Jedenfalls nie ein so ausgefallenes.)

 

GK: Just as long as you’re satisfied. (Nun, hoffentlich sind Sie zufrieden.)

 

CG: You know as well as I do this necklace is imitation. (Sie wissen genauso gut wie ich, dass das Collier eine Imitation ist. )

 

GK: Well, I’m not. (Aber ich bin keine.)

 

Eine weitere Anekdote Hitchcocks zur Farbgebung des Filmes:

 

Ich habe versucht das Technicolor-Blau in den Nachtszenen loszuwerden. Ich hasse königsblauen Himmel. Deshalb habe ich Grünfilter gebraucht, aber ganz richtig kam es nicht hin. Ich wollte ein dunkles Blau, ein Schiefergrau, ein Graublau, wie richtige Nacht.

 

-> Kurzkritik auf Letterboxd

 

Quellen:

 

Alfred Hitchcock: Über den Dächern von Nizza (To Catch a Thief), Paramount 1955. – Derzeit verfügbar bei Amazon Prime Video.

 

Francois Truffaut: Mr Hitchcock, wie haben sie das gemacht? (Le Cinéma selon Hitchcock), Heyne 2003. Kaufen